Auslegung zu Römerbrief 12,3-8 - Bibelauslegung für Gemeinde

Christen sollen bei allem, was sie tun, den Maßstab des Glaubens und der Liebe zugrunde legen, und vor Augen haben, dass Christus bald wiederkommt. => 12,3-13,14

Christen dienen Gott in der Gemeinde, indem sie sich mit der Gabe, die Gott ihnen gegeben hat, in die Gemeinde einbringen und die anderen sich mit ihren Gaben einbringen lassen. => 12,3-8

3)Denn ich fordere durch die Gnade, die mir gegeben wurde, jeden einzelnen von euch auf: Denke nicht höher von dir als es eine nüchterne Selbsteinschätzung erlaubt! Halte dir vor Augen, dass Gott jedem von euch das Maß des Glaubens zugeteilt hat.

- „denn“ => Im Griechischen steht hier ein Wort, dass häufig mit „denn“ übersetzt werden kann. An dieser Stelle aber eher nicht. Paulus begründet von 12,3 an nicht die allgemeine Aufforderung aus 12,1-2. Sondern er leitet daraus konkretere Aufforderungen ab.

- „durch die Gnade, die mir gegeben wurde“ => Paulus hat als Apostel von Jesus Christus von Gott besondere Einsicht bekommen, wenn es darum geht, das Evangelium auf das christliche Leben anzuwenden.

- „ich fordere“ => Paulus geht es hier darum, dass die einzelnen Gemeindeglieder sich in Demut üben und so die Einheit der Gemeinde bewahren und fördern. Dies stellt er an den Anfang seiner Aufforderungen, Gott in einem neuen Leben zu dienen. Es ist ihm offensichtlich sehr wichtig. Die Aufforderung, die Vielfalt und die Einheit in der Gemeinde zu bewahren, scheint für die Gemeinde in Rom von besonderer Bedeutung gewesen zu sein. Dafür sprechen wenigstens zwei Gründe:

Paulus kommt in 14,1-15,13 auf unnötige Streitereien in der Gemeinde zu sprechen, die sich an zweitrangigen Fragen entzündet haben.
Nach 11,16-24 gab es in der Gemeinde einige nichtjüdischen Christen, die hochmütig auf ihre jüdischen Glaubensgeschwister herabgeblickt haben.

- „nüchterne Selbsteinschätzung“ => Paulus hat schon in 11,18-25 den Hochmut einiger Christen in Rom angesprochen. Sie hielten sich als Nichtjuden besser dafür geeignet, Gottes Gnade zu erfahren, als Juden. In 11,32 hat er klar gemacht, dass Gottes Gnade sich ausschließlich über solche Menschen ergießt, die sie nicht verdient haben. Wer dies vor Augen hat, kann eine nüchterne, gesunde Selbsteinschätzung an den Tag legen. Da wird man dann vom Evangelium her sehen, dass wir alle von Natur Gottlose sind, die von Gott einzig auf der Grundlage des Sühnetodes gerecht gesprochen werden. Gott hat uns auch von der Herrschaft der Sünde befreit und dazu berufen, ihm in einem neuen, von ihm geschenkten Leben zu dienen.

- „das Maß des Glaubens“ => Es gibt im Wesentlichen zwei Deutungen dieses Ausdrucks:

Die Rede ist vom Glauben, der nach einem von Gott bestimmten Maß gegeben wird. Das Maß, die Gabe, besteht im Glauben.
Die Rede ist von einem Maß, dass in Verbindung mit dem Glauben gegeben wird. Das Maß, die Gabe, besteht nicht im Glauben, sondern in den von 12,6 an besprochenen Gaben wie Prophetie und Lehre.

Eine klare Entscheidung ist nicht möglich. Beide ergeben vom Zusammenhang her Sinn. Ist der Glaube das Maß, die Gabe, dann soll die Tatsache, dass wir alle denselben Glauben haben, zur gesunden Selbsteinschätzung führen. Ist von Gaben die Rede, die den Gläubigen gegeben werden, dann ist es die Tatsache, dass jeder seine ihm zugemessene Gabe bekommen hat, die zur nüchternen Selbsteinschätzung beitragen soll.

4)Denn unser Körper besteht aus vielen Organen, aber die Organe haben nicht alle dieselbe Funktion. 5)Vergleichbar ist es mit uns vielen Gemeindegliedern: Wir sind in Christus wie zu einem Leib vereint, aber einzeln gesehen sind wir Glieder, die miteinander in Verbindung stehen.

- „denn“ => Paulus begründet in den Versen 4 und 5 die Aufforderung aus Vers 3: Christen sollen eine nüchterne Selbsteinschätzung an den Tag legen, weil sie Teil eines größeren Ganzen sind. Da steht einer nicht im Mittelpunkt, sondern hat neben sich andere Gemeindeglieder, mit denen er zusammen für Gott wirkt.

- „aber“ => Es ist gar nicht so einfach, festzustellen, ob Paulus hier mehr die Einheit oder die Vielfalt einer Ortsgemeinde betonen will. Dies wird an unterschiedlichen Übersetzungen von 12,5 deutlich. Manche verstehen Paulus so, dass er vor allem die Einheit einer Ortsgemeinde betonen will:

Menge: So bilden auch wir trotz unserer Vielheit einen einzigen Leib in Christus, im Verhältnis zueinander aber sind wir Glieder.
NGÜ: Genauso sind wir alle – wie viele ´und wie unterschiedlich` wir auch sein mögen – durch unsere Verbindung mit Christus ein Leib, und wie die Glieder unseres Körpers sind wir einer auf den anderen angewiesen.

Manche Übersetzungen scheinen Paulus so zu deuten, dass er die Vielfalt stärker als die Einheit betonen will:

REB: so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander.
EÜ: so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als Einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören.

Andere Übersetzungen lassen es offen, worauf Paulus den Schwerpunkt legt:

NEÜ: Genauso sind wir alle in Verbindung mit Christus ein einziger Leib und einzeln genommen Glieder voneinander.

- „in Christus … ein Leib … Glieder, die miteinander in Verbindung stehen“ => Die Einheit und die Vielfalt einer Gemeinde müssen sorgfältig und sinnvoll in Beziehung zueinander gesetzt werden. Mit einer falschen Gesinnung kann man beides falsch betonen. Jemand, der sich selbst für zu wichtig nimmt, steht in der Gefahr, Einheit von sich aus zu definieren: „Jeder tut das, was ich will!“ Möglicherweise lassen das die anderen nicht zu. Und dann fängt der Betreffende an, Vielfalt falsch auszulegen. Er denkt sich: „Wenn ihr mir nicht folgen wollt, dann mache ich halt mein eigenes Ding, ohne euch.“

Paulus verortet eine Gemeinde in Christus. In ihm sind ihre Einheit und ihre Vielfalt ausgewogen und harmonisch. Die Einheit einer Gemeinde wird dadurch vorgegeben, dass Christus der eine Herr ist über alle Gemeindeglieder. Ihm ordnen sich alle unter. Die Vielfalt einer Gemeinde wird dadurch vorgegeben, dass Christus die einzelnen Glieder begabt, wie er will, und sie in ihre Aufgaben einsetzt. So wird jedes einzelne Gemeindeglied von Christus mitberücksichtigt, um an dem größeren Ganzen, nämlich seiner Gemeinde und seinem Reich, mitzuwirken.

- Anwendung: Jede Ortsgemeinde steht vor der Herausforderung, ihre Einheit und Vielfalt zu bewahren und zu fördern. Einige Fragen können helfen, um zu erkennen, wie es gerade darum bestellt ist:

Sind Einheit und Frieden in einer Gemeinde nur ein Vorwand, träge zu sein?
Wird die Einheit über die Vielfalt gestellt, indem etwa berechtigte Anfragen und Vorschläge von Gemeindegliedern unterdrückt werden?
Weiß jedes Gemeindeglied, dass es gebraucht wird und eine Aufgabe hat?
Gibt es Diskussionen, bei denen sich bestimmte Gemeindeglieder nur wichtig tun wollen?

6)Wir haben unterschiedliche Gaben von Gott bekommen, die er uns in seiner Gnade geschenkt hat. Daher lasst sie uns richtig gebrauchen! Hat jemand die Gabe prophetischer Rede empfangen, so soll er sie in Übereinstimmung mit dem Glauben weitergeben.

- „unterschiedliche Gaben … richtig gebrauchen“ => Einheit und Vielfalt klingen hier beide wieder an. Die Gemeindeglieder haben je ihre Gabe, die in der Gemeinde Berücksichtigung finden sollte. Und die Glieder stehen in der Verantwortung, sie zum Wohle der anderen und zur Ehre Gottes einzusetzen.

- „Prophetie“ => Prophetie beinhaltet zum einen die Fähigkeit, zukünftige Dinge vorauszusehen oder unmittelbares Wissen über Personen zu haben. Zum andern aber, und das ist das Wichtigere, macht Gott durch die Prophetie seinen Heilsplan kund, ruft Menschen zur Umkehr und ermutigt sie, seinen Zusagen zu glauben.

Es scheint vom Alten und vom Neuen Testament her Sinn zu machen, hinsichtlich ihrer Autorität zwei „Stufen“ von Prophetie zu unterscheiden. Es gibt die Art von Prophetie, durch die sich Gott unfehlbar offenbart. Propheten solchen Schlages hat Gott dazu gebraucht, um sie einerseits in besonderem Maße in der Heilsgeschichte zu gebrauchen (Mose, David, Elia, Elisa), und andererseits durch sie sein Wort in der Heiligen Schrift zu offenbaren (Mose, David, Jesaja, Jeremia und die anderen Schriftpropheten). Daneben gibt es Propheten, die ihnen gegenüber einen untergeordneten Rang haben. Dazu gehören Saul und die Schar von Propheten, unter die er sich einreiht (1.Sam.10,9-13), dazu gehören auch die Jünger von Elisa (2.Kön.2,3; 4,38; 1.Kön.20,35).

Im Neuen Testament scheint es auch diese zwei „Arten“ von Propheten zu geben. Zum einen sind da die Apostel solche Propheten mit unmittelbarer Autorität, da Gott ihnen seinen Heilsplan offenbart hat. Paulus unterscheidet von ihnen in Eph.2,20 wahrscheinlich Propheten gleichen Ranges, die es auch nur zeitgleich zu den Aposteln gegeben hat. Daneben gab es Prophetie von untergeordnetem Rang. Von ihr gilt, dass sie geprüft und abgewogen werden muss (1.Thess.5,20-22; 1.Kor.14,29). Von dieser Art Prophetie spricht Paulus wohl auch in Röm.12,6. Weitere Stellen, wo von dieser Art der Prophetie die Rede ist, sind: 1.Kor.11,4.5; 1.Kor.12-14; Offb.10,7; 11,18; 18,24; 22,9; Apg.11,27-30; 21,8-14.

- „in Übereinstimmung mit dem Glauben“ => Es gibt hier zwei Möglichkeiten, „Glauben“ zu verstehen:

Es handelt sich um den vorgegebenen Glaubensinhalt, also um die christliche Lehre. Die prophetische Rede darf dem nicht widersprechen und muss daran geprüft werden.
Es handelt sich um den Glauben als persönliches Vertrauen zu Gott. Die prophetische Rede soll in Übereinstimmung mit diesem Glauben, das heißt in Abhängigkeit von Gott, weitergegeben werden. Der Inhalt des Glaubens spielt hier im Hintergrund natürlich auch eine Rolle. Die zweite Deutung verdient den Vorzug, da „Glaube“ im Römerbrief gewöhnlich den Akt des Glaubens und nicht den Glaubensinhalt bezeichnet.

7)Hat jemand die Gabe zu dienen, so soll er diese Gabe einsetzen. Hat jemand die Gabe, zu lehren, dann lehre er. 8)Hat jemand die Gabe zu ermahnen und zu ermutigen, soll er dies tun. Wer andere materiell unterstützt, tue es großzügig. Wer Leitungsaufgaben in der Gemeinde hat, nehme diese mit Hingabe wahr. Wer Barmherzigkeit übt, soll dies mit Freude tun.

- „dienen“ => Anderen zu dienen, dazu sind alle Christen berufen. Hier geht es wohl um besondere Möglichkeiten und Fähigkeiten, die jemand hat, Geld, Güter und Hilfsmittel bereitzustellen, zu organisieren und gerecht zu verteilen.

- „lehren“ => Es geht hier natürlich um das Lehren christlicher Inhalte. Ein Beispiel dafür ist der Römerbrief selbst. Paulus belehrt uns vom Evangelium her über theologische Zusammenhänge in der Bibel und ihrer Anwendung für die Gemeinde. Er geht etwa auf das Verhältnis der Offenbarung im Alten Testament zur Offenbarung in Christus ein, wenn er über die Rechtfertigung aus Glauben spricht.

- „ermahnen und ermutigen“ => Im Griechischen steht hier wieder das eine Wort, welches Paulus schon in 12,1 verwendet hat. Es geht hier um eine Art Unterweisung, die dazu verhilft, das, worin man belehrt worden ist, im eigenen Leben umzusetzen.

- „großzügig“ => Vielleicht ist auch gemeint „ohne viel Aufheben zu machen“.

- „Barmherzigkeit üben“ => Es geht hier vor allem darum, sich um Notleidende zu kümmern. Aber es geht wohl auch um solche Dinge wie Vergebungsbereitschaft gegenüber solchen, die uns um Vergebung bitten.

- „mit Freude“ => An der Freude wird erkennbar, dass wir dem anderen, dem wir helfen, wirklich aus Liebe dienen bzw. vergeben. Der andere kann dann auch gewiss sein, dass die Hilfe von Herzen kommt und er sie gerne annehmen soll. Echte Barmherzigkeit ist frei von Hintergedanken. Sie stellt sich auch nicht zur Schau, indem sie herausstellt, welches persönliche Opfer die Hilfe für sie darstellt.

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